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Geschichte einer Kingline

Aktualisiert: 6. Nov. 2023

"Fabian, bohr doch mal eine Route ein, die auch ich klettern kann"...das haben mir einige meiner Freunde nicht nur einmal gesagt. Nahezu paradox, dass aus der Motivation eine Klettertour im sechsten Grad zu erschließen eine der schwersten Mehrseillängen im Allgäu entstand. Aber wie kam es dazu?


"Entdeckung" der Linie

Frühsommer 2019 kam ich aus den USA wieder. Durch monatelanges Training in der Boulderhalle top fit und hoch motiviert an den Fels zu gehn...und natürlich neue Touren zu erschaffen. Als erstes sollte es eben eine leichte Tour sein. Ich lege den Fokus bei einer Erstbegehung auf eine schöne, logische Linie mit gutem Fels - der Schwierigkeitsgrad ist, wie er ist. Aber dabei kommen meist Klettertouren im siebten Schwierigkeitsgrad oder schwerer raus, was einfach der Struktur des Felses der nördlichen Kalkalpen geschuldet ist. Damit die Tour also leichter wird muss die Wand an sich also leichter und weniger steil sein. Also fuhr ich mit meiner Systemkamera im Gepäck zwischen Vils und Pfronten an den Straßenrand und schoss hochauflösende Fotos von der Nordwand des Roten Steins.

Die Wand war mir schon viele Jahre immer wieder aufgefallen war. Sie ist durch einen markanten Pfeiler zweigeteilt, in einen überhängenden, linken Wandteil und einen geneigteren, rechten Wandteil. Der rechte sollte es werden. Und doch hatte der steilere Wandteil, mit seinen Dächern und dem gelb-grau gestreiften Fels eine stärkere Anziehung auf mich...so stand ich an Fronleichnam 2019 mit der Bohrmaschine am Wandfuß der 100 Meter hohen, überhängenden Wand.





Die Seilschaft bildet sich

Gleichzeitig träumt ein anderer Kletterer auch von dieser Wand. Pierre wohnt in Pfronten und hat, wie er selbst sagt, immer schon im vorbeifahren die Wand bestaunt. Ein noch viel witzigerer Zufall: irgendwann um die Zeit, zu der ich auch an der Wand stand, ist auch Pierre schon einmal dort gewesen, um in die Wand von oben hinein abzuseilen und anzuschauen. Ohnehin der viel leichtere Zustieg, wie sich herausstellen sollte. Den Zustieg von unten beschreibt Pierre später als "lebensgefährlich" (mittlerweile gibt es einen gut angelegten Zustiegsweg von unten). Auch ich entschied nach den ersten Meter einbohren das nächste Mal erstmal von oben zu kommen. Nicht nur wegen dem Zustieg, sondern auch wegen der total unterschätzten Schwierigkeiten. Also seilte ich ein paar Tage später an einer ähnlichen Stelle wie Pierre von oben in die Wand...und war überwältigt. So steil. So kompakt. So unbezwingbar. Ein Dämpfer. Aber der hielt nicht lange an. Mein erster Kletterpartner war wegen der großen Schwierigkeit abgesprungen und deshalb überlegte ich, wer den Schwierigkeiten gewachsen sein könnte. Die Entscheidung war sofort gefallen, als mir Pierre erzählte, dass er auch schon an der Wand war.




Die Tour entsteht

Die Folge waren einige Tage Arbeit in den darauffolgenden Sommermonaten: Abseilen, versuchen an der steilen Wand zu bleiben, Nachsteigen, ausprobieren was kletterbar ist, Bohrhaken setzen, wieder ausprobieren, putzen, Griffe suchen und Lösungen finden. Wir bohrten die Tour wegen des schweren Klettergrades und der wenigen Cliffhookmöglichkeiten nicht aus dem Vorstieg, aber trotzdem aus der Kletterstellung heraus ein, um sicher zu gehen, dass die Klipppositionen gut sind. Insgesamt war ich selbst 12 Tage an der Wand, hauptsächlich mit Pierre, aber an dieser Stelle noch ein Dankeschön an alle anderen Begleiter: Christopher, Andi, Steffi, Martin und Michl. Im Oktober krönen wir das Kletterjahr mit einem kompletten Begehungsversuch von ganz unten. Eins steht fest, die Tour ist von unten bis oben richtig schwer...aber kletterbar!



Wo Licht ist, ist auch Schatten

Auch wenn Sportklettern die am wenigsten gefährliche Alpinismus Disziplin ist, klettert das Restrisiko eines Unfalls immer mit. So musste Pierre wegen eines Kletterunfalls Anfang 2020 ein einen einige Monate dauernde Erholungspause einlegen. Währenddessen tauchte ich selbst immer tiefer in mein neues Hobby ein - das Gleitschirmfliegen. Vermutlich deshalb kam es 2020 nicht zu einem einzigen Projektiertag in der Wand.


Kommt Zeit kommt Motivation

Ein Jahr geht, ein anderes kommt und langsam steigt das Interesse wieder. Wir haben es daher im Jahr 2021 immerhin einmal in die Wand geschafft. Vollkommen entsetzen stellen wir fest, dass wir die schweren Stellen nicht mehr klettern können - zum einen aus fehlender Fitness, zum anderen durch vergessen der Lösungen...und es bestätigt sich mal wieder, das das die Tour eine echt harte Nummer ist.

Aber wir waren wieder angefixt! Also war das Jahr 2022 das Jahr der Attacke. Vor allem für Pierre. Zwar hatten wir vor ab dem Sommer vor oft hinzugehen, aber meine Zeit in Pfronten begann um einiges später als ich mir erhofft hatte. Daher richtete Pierre sich bereits eine Fixseilpiste ein, um Solo die Einzelstellen auszuchecken und zu üben. Als ich im August also mit Pierre hochradelte, hatte er bereits sechs Sessions in der Wand! Da war es keine allzu große Überraschung, aber eine amtliche Leistung, dass er die fünfte, athletischen und kleingriffige Länge zum ersten Mal Rotpunkt kletterte. So ging es dahin, jeden weiteren Tag in der Wand verlieh Pierre einer weiteren Seillänge einen roten Punkt. Bis zu einem milden Septembertag.

"Als ich am Stand nach der dritten Länge (der Schlüssellänge) angekommen bin, wusste ich, jetzt gehört sie mir."

Gratulation, Lob und sportliche Anerkennung für die erste komplette Rotpunktbegehung dieser Hammer Linie!


Pierres freudiges Grinsen nach dem ersten Rotpunkt!


Die Tour ist vollendet

Der erste Rotpunkt ist für uns der Meilenstein, an den wir die Veröffentlichung der Tour binden wollten. Also fehlten nun nur noch zwei Haken (bereits nachgesetzt), das Wandbuch und ein Name. Nach vielen halbüberzeugenden Ideen, taufte - witzigerweise bis heute unwissentlich - jemand vollkommen unbeteiligtes die Tour.

Ich saß abends, kurz nach Pierres souveränem Rotpunkt, mit ein paar Gleitschirmpiloten im Stubaital zusammen und erzählte von der großen Neuigkeit in der gewaltigen Wand und der beispiellosen Tour. Ich erzählte auch von den vielen Tagen, die wir ins Einbohren investiert haben. Von den drei Jahren in denen Geduld gefragt war. Ich erzählte von den vielen Stunden in den schweren Einzelstellen und von Pierres und meiner Einstellung zum Leben und unserem Wunsch unsere Zeit nicht komplett mit der Erfüllung gesellschaftlicher Normen zu verbringen. Und dann erwähnte ich, dass wir nun noch auf der Suche nach einem Namen für die Tour sind, der am besten all das, die Geschichte und den Charakter der Tour und unsere Lebenseinstellung widerspiegelt. Am besten als Appell an die Wiederholer. Da sagte der Urtiroler Simon nach einer kurzen Pause nur drei Worte:

"Nimm dir Zeit!"


Was bietet die Tour?

Für Pierre und mich ist die Tour allein schon wegen unserer Geschichte eine Kingline. Aber die Tour an sich bewirbt sich auch so schon auf diesen Titel. Die Linie sucht sich den direktesten, leichtesten, logischen Weg durch den komplett auf 100 m Wandhöhe überhängenden Fels. Die Felsqualität ist durchgehend hervorragend. Die Kletterei ist abwechslungsreich, knifflig und auch mal etwas morpho in alle Richtungen. Abgesehen von der Tour selbst ist die Wand einfach nur atemberaubend! Und wer nach bestaunen der Steilheit und Kompaktheit den Blick nach hinten wendet, dem zeigt sich ein Ausblick, der kaum fotogener sein könnte. Die Ostallgäuer Seenlandschaft bietet den Hintergrund und einen direkten Blick auf bunte Mischwälder, die Dörfer im Tal, den Lech, der sich an den Füssener Sportklettergebieten vorbeischlängelt, über welchen der Säuling thront. Und wer sich Zeit nimmt kann abends im Osten Deutschlands höchsten Berg, die Zugspitze im Abendrot strahlen sehen. Genug der Wortmalerei, Bilder sagen bekanntlich mehr und wem auch das nicht genug ist: Das letzte Bild ist ein Topo. Die Wand ruft dich!


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